Für unsere nächste Geschichte müssen wir ein wenig zurück in die Zeit nach der Wende, nach Ostdeutschland, sagen wir mal nach Frankfurt an der Oder. Die Leute fühlten sich abgehängt von Politik und Leben. So oder so ähnlich müssen sich zur Zeit auch die Fans des EHC Chur fühlen: abgehängt vom Verein, links überholt. Denn die Zeiten, in denen die Tabelle über die Zufriedenheit der Matchbesucher entschieden hat, sind vorbei. Neu soll der Blick aufs Handy, auf eine App, auf steigende oder fallende Kurse die Laune der Matchbesucher bestimmen.
„Sei dabei und erlebe mit uns die Zukunft unseres Sports, unseres Clubs und der Technologie!“ Hä, was? Während sich die meisten wohl reumütig an ihre letzten Besuche auf dubiosen Internetseiten erinnern und schnell einen Virenscan auf dem Handy durchführen, bleiben die anderen an der Geschichte dran. Ein Eishockeyverein, der uns in die Zukunft führen will – nicht durch sportliche Erfolge, sondern durch Kryptowährungen? Ok, jetzt erinnern auch wir uns an diese Fake-Werbungen mit Prominenten, die uns auf fragwürdige Seiten locken wollten. Aber keine Sorge, unser Lieblingsclub beschwichtigt:
„Eine Partnerschaft mit dem EHC Chur Bitcoin Circle bedeutet nicht nur, das legendäre Schweizer Eishockeyteam zu unterstützen – es bedeutet, an vorderster Front der Innovation zu stehen, die die Welt für morgen neu gestaltet.“
Gut, dass der EHC Chur neben dem Eishockey auch noch die Weltherrschaft anstrebt, ist uns Fans ja schon länger klar. Bleiben wir also gespannt, welche bahnbrechenden Innovationen auf uns warten.
„EHC Chur Bitcoin Circle – Wir stehen für Exzellenz, Schnelligkeit und Strategie – auf dem Eis und für die Zukunft.“ Wir hoffen zwar, dass es nicht die gleiche Strategie ist, wie bei der Verteilung der Saisonkarten, aber klingt doch mal nicht schlecht! Neben dem 3-Jahres-Plan (wahlweise auch 5-Jahres-Plan) sind Strategien des Churers liebstes Kind!
Was erwartet uns also in dieser Zukunftsvision? Machen wir uns also auf, die Infos dort herzuholen, wo sie zu vermuten sind: in der Finanzwelt. „Keine Ahnung, was das ist.“ Ok, schon gut! Wir schauen weiter. „Scheint viel Kohle zu geben.“ Ok, Kohle ist immer gut in die klammen Kassen des Stadtclubs. Aber wie kann man dabei sein? „Erfahre mehr über die Partnerschaft mit dem EHC Chur Bitcoin Circle – melde dich einfach per PN.“ Um es vorwegzunehmen: Sooo einfach ist das nun auch wieder nicht. Zumindest ein ordentliches Englisch sollte man mitbringen! Kommuniziert wird in Anglizismen – ist ja auch nur fair, wenn wir die Zukunft des weltweiten Eishockeys mitbestimmen wollen!
Während der EHC Chur von „Exzellenz, Schnelligkeit und Strategie“ spricht, drängt sich die Frage auf, ob der Club nicht den Blick für das Wesentliche verliert. Eishockey sollte im Vordergrund stehen – nicht die Jagd nach dem nächsten medialen Aufreger. Fans erwarten sportliche Leistungen auf dem Eis, keine spekulativen Abenteuer in der Finanzwelt. Wenn der Club nicht aufpasst, könnte er sich mit dieser riskanten Kommunikation mehr schaden als nutzen und vielen seiner treuen Anhänger vor den Kopf stossen.
Vielleicht steckt hinter dem EHC Chur Bitcoin Circle tatsächlich eine grosse Vision, die wir momentan noch nicht verstehen. Bis dahin werden wir jedoch weiterhin Nachrichten à la „Was isch mit em EHC los?“ bekommen – auch per PN! Antworten können wir darauf leider nicht geben, auch nicht per PN…
Eishockey ist Emotion und Leidenschaft, und das lässt sich niemals in Bitcoins aufwiegen. Die Verwendung des Hashtags „gewöhnlichsindanderi“ in Verbindung mit hochspekulativen Finanzgeschäften ist ohnehin ein Affront für alle, die dem Club bei -20 Grad im Stadion „Ludains“ die Daumen gedrückt haben.
